Fernseher oder Verbundenheit?
Dezember 2013
Interview Süddeutsche Zeitung, Christina-Maria Berr
SZ:
Herr Hüther, mal ganz ehrlich, können Sie noch beruhigt fernsehen?
Gerald Hüther:
Ich verbringe nur sehr wenig Zeit vor dem Fernseher, ich habe zu viele andere Interessen.
SZ:
Als Hirnforscher beschäftigen Sie sich mit dem Einfluss von Medienkonsum auf die Entwicklung des Gehirns – ist er denn so enorm?
Gerald Hüther:
Das Gehirn wird ja anhand der Benutzung strukturiert: Es wird so, wie man es benutzt. Besonders stark prägt sich natürlich ein, was man mit Begeisterung tut. Dann werden nämlich im Gehirn die sogenannten neuroplastischen Botenstoffe ausgeschüttet. Und die führen dazu, dass all jene Nervenzellverschaltungen besonders gefestgt und verstärkt werden, die man in diesem Zustand benutzt. Je begeisterter man also vor dem Fernseher sitzt, desto stärker passen sich die Nervenzellschaltungen im Gehirn an das an, was man dabei erlebt, denkt oder fühlt.
SZ:
Ein Jugendlicher sieht beispielsweise Gewaltszenen im TV und speichert diese ab, wenn sie ihn emotional berühren?
Gerald Hüther:
Wenn für einen solchen Jugendlichen Gewalt keine Rolle als Bewältigungsstrategie im Leben spielt, ist er vermutlich angewidert von der Darstellung und das war's. Für einen jungen Menschen, der schon Gewalt erlebt hat und der erfahren hat, dass man sich durch Gewaltanwendung Macht über andere verschaffen kann, haben diese Gewaltdarstellungen hingegen eine hohe Attraktivität. Bei ihm werden diese bereits erwähnten emotionalen Zentren angesprochen - und die Dopamin-Dusche geht an. Das Gesehene prägt sich als Muster zu Lösung von Konflikten ein. Das Gleiche gilt für Themen wie Sex, Drogen oder die Abwertung anderer Menschen, was besonders in den Talkshows am Nachmittag durchgespielt wird.
SZ:
Eine Sendung kann also vorhandene Gefühle Einstellungen und Haltungen verstärken, aber nicht neue anlegen?
Gerald Hüther:
Die Fernsehmacher wissen sehr gut, dass man die Zuschauer dort abholen muss, wo sie sind, bei ihren jeweiligen Interessen und Vorlieben. Und was immert geht: Angst machen, auch vor solchen Dingen, vor denen man bislang keine Angst hatte. Nachrichten machen das zum Beispiel, wenn sie nur noch aus Katastrophenmeldungen bestehen.
SZ:
Ausgerechnet Nachrichten? Die gelten doch als Prototyp des Bildungsfernsehens.
Gerald Hüther:
Auch die Nachrichtenmacher wollen hohe Einschaltquotenl – auch bei den Öffentlich-Rechtlichen! Deshalb wird auch dort so vieles hineingepackt, was weniger der Information dient, sondern Aufmerksamkeit erheischt.
SZ:
Reißerische Nachrichten gehören eben zur Realität und werden obendrein lieber gesehen...
Gerald Hüther:
... biologisch macht das sogar Sinn, wenn wir uns gefährliche Szenen ansehen und daraus lernen können. Diesen tierischen Anteil in uns kann man sehr leicht wecken. Aber der Mensch hat im Gegensatz zum Affen dieses Frontalhirn, wenn es denn ausgebildet ist. Dort liegen die so genannten exekutiven Kontrollfunktionen, mit denen man niedere Instinkte kontrollieren kann. Damit könnte er sich selbst sagen, dass er sich gerade wieder zum Affen macht.
SZ:
An diesem Punkt setzt Medienerziehung an, man kann das Bewusstsein für diese Dinge ja schärfen.
Gerald Hüther:
Ja. Aber dabei kann es doch nicht darum gehen, dem Kind das Fernsehen beizubringen, es zu belehren, was gute und was schlechte Sendungen sind und dass es nicht zu viele Stunden am Tag man vor der Flimmerkiste verbringen soll. Dass das alles nichts bringt, wissen wir ja alle inzwischen nur allzu gut. Medienpädagogik, die wirklich etwas bewirken will, müsste den Kindern zeigen, wie schön das reale Leben sein kann. Und dass moderne Medien wunderbare Werkzeuge sind, um damit ein Werk, zu vollbringen. Auf diese Weise wird die Verführungskraft der Medien an Wirkung verlieren. Kinder wollen ja normalerweise bis zum Alter von drei, vier Jahren ohnehin von sich aus gar nicht fernsehen. Sie wollen viel lieber bei allem selbst mitmachen – und an diesem Punkt wird das Fernsehen uninteressant.
Medienpädagogik müsste den Kindern zeigen, wie schön das reale Leben sein kann.
SZ:
Was ist mit Sendungen wie der Super-Nanny auf RTL, wo nicht nur Eltern, sondern vielleicht auch Kinder etwas über den gemeinsamen richtigen Umgang lernen?
Gerald Hüther:
Diese Super-Nanny wendet ja selbst recht fragwürdige Methoden an. Da ist viel Konditionierung dabei und nicht immer die Art von Liebe, die man sich in einer Eltern-Kind-Beziehung wünscht. Viele Zuschauer werden sich solche Sendungen weniger deshalb anschauen, um zu lernen, sondern um sich darin zu bestätigen, dass andere Leute auch nicht besser mit ihren Kindern umgehen können. Das ist ziemlich voyeuristisch.
SZ:
Wie müsste man es anders machen?
Gerald Hüther:
Wichtig wäre vor allem: den Kindern immer wieder Gelegenheit bieten, eigene Erfahrung zu machen, möglichst mit anderen zusammen. Das kann man im Fernsehen zwar zeigen. Aber davon, dass man es sich anschaut, wird es eben nicht zu einer eigenen, am eigenen Leib gemachten Erfahrung. Natürlich kann man Kinder mit den traditionellen Dressurmethoden dazu bringen, dass sie sich so verhalten, wie man das will. Auch beim Fernsehen. Aber das ist eben nur Abrichtung wie im Zirkus mit Belohnung oder Bestrafung, das ist keine eigene Weiterentwicklung, dabei wächst kein Kind über sich hinaus und entfaltet seine Potenziale.
SZ:
Das heißt im Umkehrschluss: Fernsehen ist kein Medium, das erzieherisch ansetzen könnte?
Gerald Hüther:
Es ist bestenfalls ein Wissensvermittlungsmedium. Aber Wissen ist ja bekanntermaßen nicht das Einzige und oft auch nicht das Wichtigste, worauf es im Leben ankommt. Wichtiger wären die eigenen erfahrungen - und die macht man vor dem Fernseher eben nicht. Höchstens die des passiven Konsumenten.
SZ:
Es sei denn, man macht bei einer der vielen Castingshows mit. Dieter Bohlen hat jetzt auf RTL die xy Staffel von „Deutschland sucht den Superstar" gestartet.
Gerald Hüther:
Ja, aber das ist doch nur die Illusion des Mitmachens. Bis auf die paar Kandidaten, die es bis zur ersten Runde schaffen. Der Rest schaut wieder nur zu. Problematisch ist, dass dabei auch noch etwas als Bedeutsam herausgestellt wird, was eigentlich nicht bedeutsam ist: Prominenz. Ich fürchte, keiner dieser sogenannten Superstars ist auf längere Sicht wirklich reich und glücklich geworden. In Wirklichkeit geht es ja auch gar nicht um Ihr Können oder um ihre Talente, sondern um ihre Vermarktbarkeit.
SZ:
Ein Kind, das seine Eltern fragt, es möchte sich beim Supertalent bewerben ...
Gerald Hüther:
... hat Eltern, die etwas falsch gemacht haben.
SZ:
Womöglich bringen die Kinder solche Ideen aus der Schule mit.
Gerald Hüther:
Dann wird die Mama sagen: Ja, das wollte ich auch immer, aber jetzt müssen wir erst mal Kartoffeln schälen, damit wir was zu Essen bekommen. Und damit ist die Sache erledigt.
SZ:
Die Eltern sollten dem Ganzen also keine Bedeutung zumessen?
Gerald Hüther:
Genau. Sie sollten nicht vermitteln, dass Medien Stars hervorbringen - sondern allenfalls, dass man Medien als Werkzeuge benutzen kann, um ein Werk zu vollbringen. Wie Hammer und Schraubenzieher.
SZ:
Können Sie einen Wandel bei den Eltern in Bezug auf den Fernsehkonsum erkennen?
Gerald Hüther:
Die Nachfrage nach Medienpädagogik im Kindergarten ist größer denn je. Das zeigt, dass die Eltern in puncto Medien überfordert sind – zumindest ist es kein Zeichen, dass man einen Schritt weiter gekommen ist. Dafür gibt es immer mehr Verhaltensstörungen bei Kindern und Medienabhängigkeit bei Jugendlichen.
SZ:
ADHS wird auch als Zappelphilippsyndrom bezeichnet. Entwickelt es sich vor dem Fernseher?
Gerald Hüther:
Im Gegensatz zu Primaten können Menschen ihre Aufmerksamkeit gemeinsam auf etwas richten und so engste Verbundenheit entstehen lassen – beim Bilderbuchangucken, beim Singen, beim Turmbauen. Diese Erfahrung von „geteilter Aufmerksamkeit" (shared attention) brauchen Kinder, damit sie sich später in individualisierten Gemeinschaften zurechtfinden. Geteilte Aufmerksamkeit findet aber nicht vor dem Fernseher statt, weil die Bilder zu schnell durchlaufen. Das heißt, momentan werden Menschen groß, die wegen des massiven Medienkonsums nur noch begrenzt die Erfahrung machen können, wie schön es sein kann, gemeinsam mit anderen etwas zu erleben, zu gestalten, zu entdecken. Die können dann auch später als Erwachsene sich nur schwer über gemeinsame Interessen und Ziele verbunden fühlen.
SZ:
Was folgt daraus?
Gerald Hüther:
Durch die Mediendominanz und die immer geringer werdende gemeinsame Erfahrung entstehen junge Menschen, die sich in zwei Gruppen zerfallen: Die einen wollen mit der Gemeinschaft gar nichts mehr zu tun haben - und die anderen hängen in klebrigen personalen Beziehungen fest und müssen den ganzen Tag chatten, SMS schicken und auf Facebook sein. Leider tragen beide Gruppen dann wenig dazu bei, dass eine menschliche Gemeinschaft in einer gemeinsamen Anstrengung ihre Probleme löst und dabei über sich hin auswächst.
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